Mindestens einen Satz von ihm kennt wirklich jeder: „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen.“ Mit seiner deutschen Fassung von Frederick Loewes „My Fair Lady“ hat Robert Gilbert wesentlich zum Erfolg des Musicals hierzulande beigetragen. Weil er das Libretto nicht nur übersetzt, sondern wirklich nachgedichtet hat. Was im Fall eines Stücks, das wesentlich vom Wortwitz lebt und vom Kontrast zwischen Dialekt und Hochsprache, wahrlich eine Herausforderung darstellt.
Gilberts Grundidee war, aus Eliza Doolittles Londoner Cockney eine Berliner Kodderschnauze zu machen. Die dann natürlich mit ganz anderen Ausspracheproblemen zu kämpfen hat als das englische Original. „In Spanien fällt der Regen vor allem in der Ebene“, müsste es heißen, übertrüge man „Es grünt so grün“ wortwörtlich. Ewig hat Robert Gilbert an der Zeile herumgedoktert, bis er einen Text auf die Melodie legen konnte, der einerseits die Absurdität von Professor Higgins’ Lehrmethode einfängt und andererseits als Mittel gegen die Marotte taugt, den Buchstaben „g“ als „j“ auszusprechen.
Ähnlich viele Versuche brauchte er, um auch für die übrigen Nummern des Musicals evergreentaugliche Zeilen wie „Ich hätt’ getanzt heut’ Nacht“ oder „Mit ’nem kleinen Stückchen Glück“ auszutüfteln. In seiner Biografie des Sprachkünstlers breitet Christian Walther eine beeindruckende Fülle von Quellen zum Arbeitsprozess an „My Fair Lady“ aus. Das Buch ist als Dissertation entstanden, doch weil der Verfasser im Hauptberuf „Abendschau“-Reporter ist, verfällt er nie in den akademischen Duktus. Spannend liest sich diese Lebensbeschreibung vor allem, weil Walther soziologisch vorgeht, Zahlen, Daten, Fakten stets in den gesellschaftlichen Kontext einbettet. So entsteht en passant auch ein geschichtliches Panorama der Unterhaltungskunst im 20. Jahrhundert, von den Alles-ist-möglich-Jahren der Weimarer Republik über die jüdische Exilgemeinde in Amerika bis hin zum geistigen Wiederaufbau im Nachkriegsdeutschland.
Als Gilbert 1899 geboren wird, trägt seine Familie noch den Namen Winterfeld. Doch bald schon bekommt sein Vater, ein Kapellmeister, von einem findigen Impresario den Künstlernamen Jean Gilbert verpasst. Unter diesem Pseudonym macht er im Kaiserreich als Possen-Komponist Karriere. Die Familie lebt in Saus und Braus am Wannsee;der Sohn aber rebelliert gegen den Tingeltangel-Talmi, schreibt sich an der Uni für Altphilologie ein und wird Kommunist. Seine Freundschaft mit Heinrich Blücher, dem Ehemann von Hannah Arendt, datiert aus dieser Zeit. Der junge Autor schreibt politische Lyrik, arbeitet mit Hanns Eisler zusammen. Kein Geringerer als Ernst Busch macht beider „Stempellied“ bekannt, eine bittere Arbeitslosen-Moritat. Für Claire Waldoff entsteht „Warum liebt der Wladimir gerade mir?“.
„Die ganz Schlauen sind gleich nach Amerika“
Parallel aber kann Robert Gilbert dann doch den Verlockungen der boomenden Entertainmentindustrie nicht widerstehen. Er liefert die Worte zu Schlagern wie „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n“ und wird für die allerersten Tonfilm-Produktionen engagiert. Bei den „Drei von der Tankstelle“ sorgt er mit Werner Richard Heymann für die Hits „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ und „Ein Freund, ein guter Freund“. Der Revue-Mogul Erik Charell holt Gilbert für die Überarbeitung aller Liedtexte im „Weißen Rössl“, mit „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“ steuert der vielseitig Begabte sogar eine selbst komponierte Nummer bei.
Geradezu schwindlig kann dem Leser werden bei der Aufzählung all der Schlagerklassiker aus der Feder Gilberts. Doch dann ist im Januar 1933 plötzlich alles vorbei. „Die ganz Schlauen sind gleich nach Amerika“, wird Gilbert 1965 rückblickend sagen, „wir aber konnten uns von unserem Sprachgebiet nicht trennen.“ Zusammen mit Künstlerkollegen wie Max Reinhardt, Fritzi Massary und den jüdischen Mitgliedern der Comedian Harmonists weicht Robert Gilbert nach Wien aus. Noch fließen die Tantiemen reichlich, unter arisch klingenden Pseudonymen liefert er weiter musisches Material für Deutschland. Und er schreibt wieder ätzende sozialkritische Gedichte, die „Machtübernahme am Wolfgangsee“ heißen oder „Kraft durch Freude“.
In letzter Minute entschließt sich Gilbert dann doch zur Flucht, mit Frau und Tochter: Über Paris gelangen sie nach New York, in Sicherheit. Bis 1949 leben die drei in der Bronx. Ein Fabrikjob der Mutter hält die Familie über Wasser, denn die ganze europäische Berühmtheit nützt Gilbert nichts in der Neuen Welt. 40 Operetten und Revuen hatte er dort betextet, Verse für 60 Tonfilme geliefert, hier bleibt er ein Nobody. Immerhin wird ihn das in den amerikanischen Hungerjahren mühsam erarbeitete Englisch bei seiner Rückkehr Rendite bringen. Nach der Remigration avanciert Gilbert schnell zum gefragtesten Musical-Übersetzer der Bundesrepublik: Neben „My Fair Lady“ sind ihm 22 wortwitzige, metaphernsichere Nachdichtungen zu verdanken, darunter „Hello Dolly“, „Oklahoma“ und „Cabaret“.
Zusammenarbeit mit Erich Kästner
Auch sonst läuft es sofort unerwartet gut für den Heimkehrer. 1952 schreibt er mit seinem wiedergefundenen Freund Werner Richard Heymann den Soundtrack zum Hildegard-Knef-Film „Alraune“, im selben Jahr läuft die Kinoversion seines Kriminalromans „Die Stimme des Mörders“ als deutscher Beitrag in Cannes. Gilbert macht in München Kabarett mit Erich Kästner, bringt mit Paul Burckhardt die musikalische Komödie „Das Feuerwerk“ heraus.
Deutscher Staatsbürger aber will er nicht mehr werden, bis zu seinem Tod wohnt er in der Schweiz, im Tessin. Und hängt dort Erinnerungen an die wilden alten Zeiten nach. „Meckern ist wichtig, nett sein kann jeder“ heißt einer seiner Gedichtbände, in dem die Berliner Mundart eine zentrale Rolle spielt. „Durch Berlin fließt immer noch die Spree“ wird später eine weitere Lyrik-Sammlung betitelt, nach dem Schlager, den Gilbert einst mit seinem Vater herausgebracht hatte und der im SFB-Fernsehen dann zur Erkennungsmelodie der „Abendschau“ wurde. Doch als der Autor 1978 stirbt, ist er nicht nur privat vereinsamt, sondern im Land seiner Väter auch gründlich vergessen.
Wenn Hannah Arendt im Nachwort zu einem seiner Bücher rühmend schreibt, Gilbert sei „der Nachfahr, den Heine nie gehabt hat“, dann ist das wohl überwiegend der lebenslangen Freundschaft geschuldet. Ein genauer Beobachter seiner Zeit aber ist er immer gewesen, ein hellsichtiger Bänkelsänger, der Spaß daran hatte, auch im unterhaltenden Genre alle Möglichkeiten seiner geliebten Muttersprache auszureizen. Er selber formuliert das in seiner „Leierkasten-Odyssee“ so: „Und wo saß ich? Im Sofaplüsch des Seins,/ die leichtgeschürzte Muse/ im rechten Arm und links das Einmaleins/ der Klassenkampfmeduse.“
Christian Walther: Robert Gilbert, eine zeitgeschichtliche Biografie. Peter Lang Edition, Frankfurt/M. 435 Seiten, 79,40 €.